Der EU Digital Services Act: Chancen für den Forschungsstandort Wien


Lange wurde verhandelt, am 17. Februar 2024 trat der Digital Services Act, neben dem AI-Act und dem Data Act eines der Kernstücke der umfassenden digitalen Regulierungsmechanismen, in der Europäischen Union vollumfänglich in Kraft. Nun steht die Umsetzung in den Mitgliedstaaten an.

Gemeinsam mit Expert*innen aus Wissenschaft und Verwaltung diskutierten wir am 12.3.2024 im waff die laufende Umestzung des DSA in Österreich und seine Bedeutung für Recht, Verwaltung, Forschung und den Standort Wien im Zeichen des Digitalen Humanismus. Gerade die Vertiefung der Kenntnisse über die inhärente Funktionsweise von sehr großen Plattformen und die Beforschung entsprechender Datenbestände ist aus Sicht des Digitalen Humanismus wesentlich. Denn die Verankerung dieser Plattformen im Alltag von Milliarden von Menschen hat immense Auswirkungen auf Gesellschaft, Demokratie und die individuelle Entwicklung von Menschen, nicht zuletzt von Heranwachsenden bzw. Minderjährigen. Die Veranstaltung war eine Kooperation der MA23 und des WWTF.

Keynote:

Julian Jaursch, Berlin, Experte für Plattformregulierung bei der Stiftung Neue Verantwortung, Gemeinnütziger Think Tank. Link zum Artikel „Why researchers should care about the DSA” (Julian Jaursch). Die Stiftung Neue Verantwortung wird sich demnächst in “interface” umbenennen.

Panelist*innen:

  • Dietmar Dokalik, Leitender Staatsanwalt im Bundesministerium für Justiz
  • Hannah Metzler, Forscherin am Complexity Science Hub zur Rolle von Emotionen und zur Verbreitung von Misinformation in Sozialen Netzwerken
  • Heidrun Maier-de Kruijff, Geschäftsführerin Verband der Öffentlichen und Gemeinwirtschaft Österreichs
  • Julia Neidhardt, Leiterin des Christan Doppler-Labors für Weiterentwicklung des State-of-the-Art von Recommender-Systemen und TU Wien

Moderation: Martin Giesswein

Der Fokus der Veranstaltung lag auf der konkreten Ausgestaltung des DSA und dem Zugang zu Plattformdaten von „very large online platformes“ (VLOPs) zu Zwecken der Forschung. Der DSA deckt aber noch viele weitere Bereiche ab, auf die wir in der Veranstaltung nicht alle eingehen konnten. In seiner Keynote stellte Dr. Julian Jaursch die wichtigsten Eckpunkte des DSAs im Kontext des Forschungszugangs dar (auch hier sehr gut nachzulesen) und ging auf wichtige aktuelle Entwicklungen ein, die in den Key-Takeaways zu finden sind.

Grundlegende Informationen zum DSA aus der Keynote von Dr. Jaursch

Während Themen wie Inhaltsmoderation, Aufklärung über Empfehlungssysteme der großen Plattformen (Recommender Systems), Beschwerdewege und Werbetransparenz durch meist freiwillige Maßnahmen der Unternehmen, einzelne nationale Gesetze oder andere Selbstverpflichtungen geregelt wurden, ist mit dem DSA eine EU-weite Regelung in Kraft getreten, die die Regeln für ein „transparentes und sicheres Online-Umfeld“ ausgestalten soll. Bis dato waren Forscher*innen hinsichtlich des Datenzugangs von der Willkür der jeweiligen großen Plattformunternehmen abhängig. So wurde bis zur Übernahme von Twitter ein Großteil der Social-Media-Forschung nur mit Daten von Twitter durchgeführt, dies führte jedoch u.a. zu einer Verzerrung der Erkenntnisse und mit der Übernahme von Twitter wurde auch dieser Zugang eingestellt. Über den DSA sollen nun unter bestimmten Voraussetzungen Daten für die Forschung zugänglich gemacht werden, dies betrifft ausschließlich von der Europäischen Kommission definierte VLOPs (very large online platforms), dazu gehören u.a. Amazon, Alibaba, Apple, Meta, X und Wikimedia. Bislang sieht der DSA vor, dass Daten zu systemischen Risiken zur Verfügung gestellt werden müssen. Zu den systemischen Risiken gehören u.a. die Verbreitung illegaler Inhalte, Inhalte mit Auswirkungen auf Grundrechte und gesellschaftliche Debatten wie Jugendschutz und öffentliche Gesundheit. Das Format, in dem die Daten zur Verfügung gestellt werden sollen, ist noch nicht festgelegt.

Key Takeaways:

  • Laut Dr. Dokalik kann der DSA aus legistischer Perspektive durchaus als revolutionäres Regelwerk betrachtet werden: durch seinen Baukastencharakter bietet er Mechanismen an, um auf aktuelle Entwicklungen im digitalen Raum eingehen zu können. Das ist ein großer Unterschied zu traditioneller Gesetzgebung, wie es zB bei der DSGVO der Fall war.
  • Die Justiz bzw. die Behörden benötigen Forschungsergebnisse, zB um sehen zu können wie etwa Plattformen auf Desinformation reagieren. Sehr große Plattformen bringen eine sehr große Marktmacht mit, mit der EU-Kommission und den 27 Koordinatoren für digitale Dienste steht Ihnen in der EU nun eine starke behördliche Struktur gegenüber.
  • Der DSA ist mit 17.2.2024 für alle Anbieter (mit Ausnahme von Mikro- und Kleinunternehmen) in Kraft getreten, aber es ist noch viel im Fluss und gibt zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten. Einer davon ist der ausstehende „Delegierte Rechtsakt“ für den Bereich Plattformdaten für die Forschung. Dieser Rechtsakt soll Ende 2024 von der Europäischen Kommission vorgelegt werden. Dort könnten sehr wichtige Punkte wie zB die Verankerung der Kostenfreiheit für den Datenzugang oder auch die genauere Detail-Definition systemischer Risken festgehalten werden.
    • Für so wichtige Themen wie die Kostenfreiheit des Datenzugangs braucht es eine starke Lobby, daher sind Forscher*innen und Forschungsorganisationen aufgerufen, sich am nächsten Konsultationsprozess zum DSA mit starker Stimme einzubringen!
  • Im Herbst 2024 startet der nächste breit angelegte Konsultationsprozess der Europäischen Kommission zum DSA („Call for evidence“), bei dem auch Sie ihre konkreten Problemstellungen und Fragen für den DSA übermitteln können. Das ist auf der dafür eingerichteten Seite der Kommission möglich (derzeit noch kein Link verfügbar).
    • Dietmar Dokalik, Staatsanwalt im Bundesministerium für Justiz, ruft zur Teilnahme am Konsultationsprozess auf, und bittet, die eingebrachten Statements dann auch ins BMJ zu senden, damit sich die österreichische Gesetzgebung auf ein Bild über die Stimmungslage im Land machen kann. Zusendungen bitte an: dietmar[punkt]dokalik[at]bmj[punkt]gv[punkt]at
    • Das BMJ sendet auch an alle Interessierten die Aufrufe zur Beteiligung an EU-Gesetzgebungsinitiativen aus. Falls Sie daran Interesse haben, wenden Sie sich bitte ebenso per Mail an Dietmar Dokalik.
  • Die Teilnahme an EU-Konsultationen ist entscheidend für die Beeinflussung zukünftiger Rechtsakte. Frau Maier de Kruijff, die langjährige Erfahrung im Bereich zivilgesellschaftliches Lobbying hat, weist darauf hin, dass wichtige Punkte oder Kernanliegen, wie zB „Datenzugang sollte kostenlos sein“ in Formularen öfter anmerken soll, auch wenn danach gar nicht explizit gefragt wird!
  • Forschungsperspektive I: Frau Metzler berichtet von einem Überraschungsmoment als Forscherin: a. durch die extrem dünne Datenlage gibt es zu medial und sozial viel diskutierten Themen wie Echokammern, Medien- und Handysüchtigkeit etc. extrem wenig wissenschaftliche Evidenz! Auch hier kann der DSA-Abhilfe schaffen, wenn die Datenzugänge genutzt und sinnvoll ausgestaltet werden und uns als Gesellschaften helfen, nicht auf Mythen, sondern Fakten zu reagieren.
  • Forschungsperspektive II: Frau Neidhardt berichtet, dass es in der Community derzeit noch wenig Awareness zum DSA und seinen Möglichkeiten zu geben scheint. Es besteht die Hoffnung, dass sich das in den nächsten Monaten und Jahren ändert, denn Vernetzung und Lobbying für einen effektiven und administrativ machbaren Datenzugang werden notwendig sein.
  • Auf europäischer Ebene und in Deutschland gibt es bereits vielfältige Möglichkeiten der Vernetzung zum DSA, ähnliches ist auch für Ö wünschenswert:
  • Es braucht eine informierte und aktive Öffentlichkeit, die auf effektive, machbare Zugänge zu Plattformdaten pocht. Die großen Plattformen rüsten sich bereits für die ersten Jahre der DSA-Umsetzung und haben ihr Personal dafür teilweise schon verdreifacht

Fun Takeaway:

  • Haben Sie jemals versucht, Facebook in Irland einen Brief zuzustellen? Frau Maier de Kruijff verweist darauf, dass dies noch vor nicht allzu langer Zeit ein Spießrutenlauf war und daher fast ein Ding der Unmöglichkeit dargestellt hat, trotz eines Firmensitzes in der EU (Dublin). Der DSA schafft hier klare Verhältnisse, und schafft für uns als Nutzer*innen die Möglichkeit, über die Digital Services Coordinators in Kontakt mit den Plattformen zu treten.

Nächste Schritte

  • Interdisziplinäre Vernetzung unter den Forscher*innen und Community Building! Austausch zum Datenzugang, gemeinsame Initiativen und zivilgesellschaftlicher und kommunalpolitischer Push für effektive, verwaltungssparsame Umsetzung!

Zur Rolle der 27 Digital Services Coordinators in der EU:

Jeder Mitgliedstaat hat einen Koordinator für digitale Dienste (KDD; Digital Services Coordinator – DSC) zu benennen, der für alle Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Anwendung und Durchsetzung des DSA in diesem Land zuständig ist. Diese Behörde ist völlig unabhängig zu stellen und entsprechend finanziell und personell auszustatten. In Österreich wurde die KommAustria als KDD bestimmt. Die EU-Kommission und die nationalen Koordinatoren für digitale Dienste (DSC) sind für die Überwachung, Durchsetzung und Überwachung des DSA zuständig. 

Auf die Digital Services Coordinators (DSCs) kommt viel Arbeit zu: die Coordinators befinden sich derzeit im Aufbau ihrer Behörden und Services und treffen sich im „Gremium der Digitalen Dienste“ regelmäßig zum europaweiten Austausch. Das Gremium der Digitalen Dienste kann als Sprachrohr, an dem eben auch der österreichische DSC maßgeblich beteiligt ist, zu den großen Online-Plattformen gesehen werden, daher ist auch hier das Einbringen von Forderungen aus der Forschung und Zivilgesellschaft an die jeweiligen nationalen DSCs von großer Wichtigkeit.

Rolle der Digital Services Coordinators im Land: Ein ganz wesentlicher DSC sitzt in Irland, da dort eine Vielzahl der sehr großen Plattformen und Suchmaschienen (VLOPs und VLOSEs) ihren Hauptsitz in der EU (im EU-Binnenmarkt) haben. In Österreich gibt es derzeit (Stand März 2024) keine VLOPs bzw. VLOSEs.  Dr. Jaursch berichtet, dass der irische DSC als einer der ersten in Europa die Arbeit aufgenommen hat und die Behörde von derzeit 100 auf 120 Angestellte anwachsen soll. Das sind gute Anzeichen für einen effektiven, irischen DSC. Aber auch in den Mitgliedstaaten und kleinen Ländern wie Österreich kommt den DSCs eine wichtige Rolle zu, da sie neben Anfragen zum Datenzugang auch eine Beschwerde- und Anlaufstelle für Nutzer*innen sind. Der österreichische DSC ist bei der KommAustria angesiedelt: https://www.rtr.at/DSA_Austria und ist mit 18 Mitarbeiter*innen ausgestattet (zum Vergleich: in Deutschland hat die Behörde 35 Mitarbeiter*innen). Aus Zugangsperspektive wird es wichtig sein, dass die DSCs mutig auftreten und unabhängig agieren.

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